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2. Mitbestimmung des Betriebsrats


Inwieweit muss ein Betriebsrat bei Auflösung einer Hierarchieebene über mögliche Folgen unterrichtet werden?

Bei Auflösung einer Hierarchieebene muss in dem Antrag zur Anhörung des Betriebsrates auch angegeben werden, in welchem Umfang die bisher vom Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten zukünftig im Vergleich zum bisherigen Zustand anfallen und es bedarf einer näher zu konkretisierenden Prognose, wie die anfallenden Arbeiten vom verbliebenen Personal ohne überobligationsmässige Leistung erledigt werden können. Eine ohne Beachtung dieser Anforderungen erfolgte Unterrichtung ist objektiv unvollständig.

Im konkreten Fall wurde der weitere im Prozess notwendige gemachte Vortrag nicht als blosse Erläuterung eines zuvor schon hinreichend mitgeteilten Sachverhalts angesehen, der auch ohne Einschaltung des Vertretungsorgans im Kündigungsschutzprozess noch möglich wäre, sondern so, dass diese weiteren Informationen dem Kündigungssachverhalt überhaupt erst das Gewicht eines Kündigungsgrundes geben.

LAG Köln, Urteil vom 14.05.2004, 4 Sa 829/03, Revision nicht zugelassen

Wann endet die Einflussmöglichkeit eines Betriebsrates auf eine arbeitgeberseitige Kündigung?

Der Kläger war seit dem 02.05.2001 bei der Beklagten beschäftigt. Mit Schreiben vom 31.08.2001, welches dem zuständigen Betriebsrat am 03.09.2001 zugegangen war, hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer ordentlichen Kündigung des Klägers an. Nachdem der Betriebsrat bis dahin zu der Kündigungsabsicht keine Stellung genommen hatte und am 10.09.2001 bei Dienstschluss auch nicht mehr zu erreichen war, liess die Personalleiterin der Beklagten das Kündigungsschreiben fertigen und überreichte es einem Kurierdienst. Es wurde dem Kläger auftragsgemäss am 11.09.2001 um 10.00 Uhr zugestellt. Nach einer Auskunft des Kurierdienstes hätte die Zustellung auf eine entsprechende telephonische Order der Beklagten hin noch am Vormittag des 11.09.2001 verhindert werden können.

Der Kläger macht geltend, der Betriebsrat sei nicht ordnungsgemäss gehört worden. Insbesondere sei die Kündigung schon vor Ablauf der Kündigungsfrist ausgesprochen worden. Die Beklagte vertritt demgegenüber die Auffassung, das Kündigungsschreiben habe nicht schon durch die Übergabe an den Kurierdienst, sondern erst mit Zustellung an den Kläger ihren Machtbereich verlassen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitgericht hat sie abgewiesen. Die Revision des Klägers hatte keinen Erfolg.

Das Bundesarbeitsgericht führte aus, nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Das Anhörungsverfahren muss regelmässig entweder durch abschliessende Stellungnahme des Betriebsrats oder Ablauf der einwöchigen Anhörungsfrist abgeschlossen sein, ehe der Arbeitgeber die Kündigung erklärt. Der Betriebsrat soll die Möglichkeit haben, innerhalb der gesetzlichen Frist auf den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers Einfluss zu nehmen. Dies ist Sinn und dem Zweck der Vorschrift. Dementsprechend genügt es, wenn der Betriebsrat am letzten Tag der Anhörungsfrist bei Dienstschluss noch nicht Stellung genommen hat und der Arbeitgeber das Kündigungsschreiben mittels eines Kurierdienstes, der zurückgerufen werden kann, an den auswärtigen Arbeitnehmer zur Zustellung am nächsten Tag auf den Weg bringt.

Theoretisch könnte der Betriebsrat, was hier nicht der Fall war, noch am letzten Tag der Anhörungsfrist bis 24.00 Uhr zu der Kündigungsabsicht eine Stellungnahme abgeben. Wenn der Arbeitgeber aber sicherstellt, dass er in dem wenig wahrscheinlichen Fall einer nachträglichen Stellungnahme des Betriebsrates auf dessen Argumente noch reagieren und den Zugang des Kündigungsschreibens verhindern kann, behält der Betriebsrat eine hinreichende Einflussmöglichkeit auf die Entscheidung des Arbeitgebers.

BAG, Urteil vom 08.04.2003, 2 AZR 515/02

Kann der Arbeitgeber Arbeitsplätze mit einer Videokamera dauerhaft überwachen?

In einem Briefzentrum der Deutschen Post, in dem insgesamt ca. 650 Arbeitnehmer in einer grossen Halle im Schichtbetrieb beschäftigt sind, waren immer wieder Brief abhanden gekommen. Zur Reduzierung dieser Verluste plante die Arbeitgeberin die Einführung einer Videoüberwachung. Die Anlage sollte mit Hilfe von in der Halle sichtbaren Kameras unabhängig von einem konkreten Verdacht wöchentlich bis zu 50 Stunden eingesetzt werden. Für die Beschäftigten war nicht erkennbar, wann sich die Anlage eingeschaltet war. Der Betriebsrat setzte sich dagegen zur Wehr und verweigerte die Zustimmung. Gem. § 87 Abs. 6 BetrVG hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei der Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistungen der Arbeitnehmer zu überwachen.

Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitgericht haben den Antrag des Betriebsrates abgewiesen. Das Bundesarbeitsgericht gab dem Betriebsrat Recht.

Das Bundesarbeitgericht hat in seinem Beschluss ausgeführt, dass eine dauerhafte Videoüberwachung der Beschäftigten ohne konkreten Verdacht unverhältnismässig und damit rechtswidrig ist. Zwar habe die Post die Pflicht, für die Sicherheit des Briefverkehrs zu sorgen und das durch das Grundgesetz geschützte Postgeheimnis zu wahren. Auf der anderen Seite werde aber durch die Videoüberwachung erheblich in das ebenfalls grundrechtlich geschützte Persönlichkeitsrecht der einzelnen Arbeitnehmer eingegriffen. Eine Abwägung der beiden betroffenen Interessen ergäbe, dass die dauerhafte, verdachtsunabhängige Videoüberwachung der Belegschaft des Briefzentrums unter den vorliegenden Umständen unverhältnismässig sei.

BAG, Beschluss vom 29.06.2004, 1 ABR 21/03

Kann ein Unternehmen Firmenmobiltelefone ohne Zustimmung des Betriebsrats überwachen?

Um die Benutzung der Mobiltelefone ihrer Monteure im Aussendienst besser kontrollieren zu können hat ein Unternehmen, das Aufzüge herstellt, die Mobilanschlüsse mit ihrer EDV-Zentrale vernetzt. Damit sind alle Gespräche nachvollziehbar. Der Betriebsrat hatte dem noch nicht zugestimmt. Dennoch hat das Unternehmen einen „Probelauf“ gestartet.

Der Betriebsrat nahm daraufhin gerichtliche Hilfe in Anspruch. Das Arbeitsgericht hat ihm Recht gegeben.

Ohne Zustimmung des Betriebsrats dürfen Unternehmen die Firmenmobiltelefone ihrer Beschäftigten nicht überwachen. Das Arbeitsgericht hat dem Unternehmen untersagt, das Überwachungssystem ohne Zustimmung des Betriebsrats einzuführen. Das Arbeitsgericht begründete dies damit, dass auch der Probelauf einer Telefonüberwachung einen grundsätzlichen Eingriff in die betrieblichen Belange der Arbeitnehmer darstellt und deshalb der Mitbestimmung bedarf,

Arbeitsgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 21.01.2004, 5 BVGa 14/04

Inwieweit hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht beim Arbeits- und Gesundheitsschutz?

Arbeitgeber und Betriebsrat stritten vor dem Bundesarbeitsgericht über den Inhalt eines Spruchs der Einigungsstelle über eine Betriebsvereinbarung. Das Bundesarbeitsgericht erklärte den Spruch der Einigungsstelle für unwirksam, weil dieser überwiegend nur allgemeine Vorgaben für den Arbeitgeber enthielt, wie dieser seine Verpflichtungen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz gegenüber den Arbeitnehmern wahrzunehmen habe. Damit würde die konkrete Anwendung auf die einzelnen und unterschiedlichen Arbeitsplätze dem Arbeitgeber überlassen.

Das Bundesarbeitsgericht führte in zwei Beschlüssen aus, dass § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder der Unfallsverhütungsvorschriften gibt. Dies eröffnet ein weites Feld, auf dem der Arbeitgeber nur in Übereinstimmung mit dem Betriebsrat Festlegungen treffen kann. Es ist nicht im Sinne der gesetzlichen Vorschriften, wenn der Arbeitgeber allein über die konkrete Anwendung entscheiden kann. Die Betriebsvereinbarung müsse vielmehr so gestaltet sein, dass sie den Gegenstand der Gefährdungsbeurteilung umfassend regelt. Die Mitbestimmung des Betriebsrats umfasse daher auch die vom Arbeitgeber vorzunehmende Beurteilung der Gefährdung am Arbeitsplatz und die Unterweisung der Arbeitnehmer über Sicherheit und Gesundheitsschutz. Eine Betriebsvereinbarung darüber könne die Aufstellung des Konzeptes zur Umsetzung nicht dem Arbeitgeber überlassen. Dadurch würde die Beteiligung des Betriebsrats auf ein Beratungsrecht beschränkt. Der Betriebsvereinbarung müsse vielmehr selbst den Gegenstand regeln.

BAG, Beschlüsse vom 08.06.2004, 1 ABR 4/03 und 13/03

Hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei Versetzungen auch in einem Gemeinschaftsbetrieb?

Die A GmbH und die BA GmbH bilden gemeinsam einen Betrieb, bei dem ein drei - köpfiger Betriebsrat errichtet wurde. Bei der A GmbH sind 18, bei der BA GmbH 4 wahlberechtigte Mitarbeiter beschäftigt. Im herbst 2001 erteilte die A GmbH dem bei ihr angestellten und in den letzten beiden Jahren überwiegend in der Gipsabteilung beschäftigten Betriebsratsvorsitzenden die Weisung, künftig ausschliesslich als Auslieferungsfahrer tätig zu werden. Gegen diese Weisung ging der Betriebsrat gerichtlich vor. Er begehrte mit seinem Antrag, den Arbeitgeber zu verpflichten die erteilte Weisung zurückzunehmen. Der Betriebsrat war der Ansicht, die Anweisung sei eine nach § 99 BetrVG mitbestimmungspflichtige Versetzung. Dagegen vertrat die Arbeitgeberin die Ansicht, auch bei einem Gemeinschaftsbetrieb mehrerer Unternehmen sei nach der Neuregelung des § 999 BetrVG für den Schwellenwert von 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern nicht mehr auf den Betrieb, sondern auf das Unternehmen abzustellen. Daher entfalle das Mitbestimmungsrecht, wenn der Vertragsarbeitgeber nicht mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt.

Die erste Instanz entschied zu Gunsten des Betriebsrats. Das Landesarbeitsgericht verneinte ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats.

Das Bundesarbeitsgericht gab schliesslich dem Betriebsrat Recht. Führen mehrere Unternehmen gemeinsam einen Betrieb mit mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern, hat der Betriebsrat bei einer Versetzung auch dann mitzubestimmen, wenn die beteiligten Unternehmen je für sich weniger als 20 Arbeitnehmer beschäftigen. Zwar stelle § 99 Abs.1 BetrVG dem Wortlaut nach nicht auf die Anzahl der Beschäftigten im Betrieb, sondern im Unternehmen ab. Dabei sei jedoch der Sonderfall eines Gemeinschaftsbetriebs mehrerer Unternehmen, die nur zusammen mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigen, nicht berücksichtigt. Die Interessenlage sei jedoch die gleiche wie in einem Einzelunternehmen und deshalb ist wegen Vermeidung von Wertungsmöglichkeiten die Anwendung der Vorschrift auf Versetzungen in einem solchen Betrieb geboten.

BAG, Beschluss vom 29.09.2004, 1 ABR 39/03

Ist ein möglicher Fehler bei der Anhörung des Betriebsrates dem Arbeitgeber anzulasten?

Die Klägerin war bei der Beklagten, die einen SB – Markt in Dresden betreibt, beschäftigt. Die Beklagte verkaufte am 30.04.2000 ihre sämtlichen 108 SB – Märkte an ein anderes Unternehmen. Die Klägerin widersprach dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf die Erwerberin mit einem Schreiben, welches sie am 28.04.2000 um 8.55 Uhr per Fax an die Personalabteilung der Beklagten in Wiesbaden übersandte. Mit Schreiben vom selben Tag hörte die Beklagte den zuständigen Betriebsrat in Dresden zur beabsichtigten Kündigung der Klägerin an. Der genaue Zeitpunkt der gleichfalls per Fax erfolgten Übermittlung dieses Schreibens ist streitig. Das vom Betriebsratsvorsitzenden unterzeichnete Anhörungsformular wurde ohne weitere Stellungnahme um 9.52 Uhr an die Beklagte per Fax zurückübersandt. Die Beklagte kündigte hierauf das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 28.04.2000 zum 31.05.2000.

In ihrer Kündigungsschutzklage trägt die Klägerin vor, eine ordnungsgemässe Anhörung des Betriebsrats habe nicht stattgefunden. Der Stellungnahme des Betriebsratsvorsitzenden habe kein Beschluss des Gremiums zu Grunde gelegen. Dies sei der Beklagten auch bekannt gewesen. Zumindest habe sich das der Beklagten auf Grund des geringen Zeitraums (maximal 12 Minuten) zwischen der Information des Betriebsrats und dessen Reaktion aufdrängen müssen.

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten wurde vom Landesarbeitsgericht zurückgewiesen.

Die Revision der Beklagten vor dem Bundesarbeitsgericht hatte Erfolg.

Das Bundesarbeitsgericht führt aus, das die Kündigung wegen unzureichender Anhörung des Betriebsrates unwirksam sei stünde entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgericht noch nicht fest. Ein möglicher Fehler des Betriebsrates bei seiner Beschlussfassung im Anhörungsverfahren ist grundsätzlich nicht dem Arbeitgeber anzurechnen. Eine Ausnahme komme dann in Betracht, wenn für den Arbeitgeber erkennbar ist, dass z.B. nur eine persönliche Stellungnahme des Betriebsratsvorsitzenden vorliegt, etwa bei spontaner Zustimmung des anwesenden Betriebsratsvorsitzenden.

Allein der kurze zeitliche Abstand zwischen der Information des Betriebsrates und dessen Reaktion reicht aber noch nicht aus für die Annahme einer evident erkennbaren Nichtbefassung des Betriebsrats als Gremium, sei es auch in fehlerhafter Form.

Das Bundesarbeitsgericht hat daher das Urteil des LAG aufgehoben und zur Klärung der Frage, ob das Kündigungsschreiben der Klägerin , wie von dieser behauptet, schon vor Rücksendung der Stellungnahme des Betriebsrats übergeben wurde, sowie zur Prüfung des betriebsbedingten Kündigungsgrundes.

BAG, Urteil vom 16.01.2003, 2 AZR 707/01



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